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Rezession unabwendbar?

Konjunkturflaute in Deutschland: Ifo-Präsident Fuest sieht weit und breit keinen Aufschwung

  • Veröffentlicht: 26.07.2024
  • 15:09 Uhr
  • Kira Born

Eine Zeitenwende ist besonders für die lahmende Wirtschaft vonnöten. Doch schwache Investitionsbereitschaft, vorsichtiges Konsumverhalten und die Ampel-Politik lassen Fachleute zweifeln.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Die deutsche Wirtschaft könnte laut Expert:innen wieder in eine Rezession absacken.

  • Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht große Herausforderungen im Ankurbeln der Investitionsbereitschaft am Standort Deutschland.

  • Die von der Bundesregierung beschlossene "Wachstumsinitiative" geht Wirtschaft-Weisen nicht weit genug und sei nur ein "Reförmchen".

Inhalt

Trotz einer positiven Prognose zu Beginn des Jahres hat sich die wirtschaftliche Perspektive deutscher Unternehmen wieder eingetrübt. Die Hoffnung, mit einem wirtschaftlichen Wachstum einer Rezension zu entgehen, schwindet mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex verzeichnete im Juli einen Rückgang auf 87 Zähler von vormals 88,6 Punkten im Juni - das ist der dritte Rückgang im Monatsvergleich in Folge. Für den Ifo-Präsidenten Clemens Fuest zeigt dies mit Blick auf die deutsche Wirtschaft: "Wir befinden uns in einer Stagnation, aus der wir wirklich nicht herauskommen." Das sagte er im Podcast "Handelsblatt Today" am Donnerstag (25. Juli).

Gründe für das schwache Wachstum seien zum einen die schwache Investitionsbereitschaft von Unternehmen sowie das schleppende Konsumverhalten der Bundesbürger:innen.

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Weniger Investitionen und schlechtes Konsumverhalten

Schon im März hatte das Ifo-Institut seine Prognose eines Wirtschaftswachstums von 0,7 Prozentpunkten deutlich herabgesetzt und erwartet im Jahr 2024 nur ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent. Dies zeigt, dass insbesondere die Erholung der Industrie später als erhofft und erwartet einsetzt, wie es in der Ifo-Konjunkturprognose für das Frühjahr 2024 heißt. Im Interview mit "Handelsblatt Today" erklärte Fuest die beiden Hauptprobleme aus seiner Sicht für das stagnierende Wachstum. Die zwei sich bedingenden Faktoren sind demnach:  

  1. Zum eine die immer weiter zurückgehenden Investitionen. Dies führe dazu, dass weniger Aufträge in die Industrie vergeben werden - besonders stark betroffen ist dabei die Investitionsgüterindustrie. Dazu gehören beispielsweise Maschinen- und Fahrzeugbau, die Stahl- und Leichtmetallbau und die elektrotechnische Industrie.
  2. Der zweite Faktor ist das schwache Konsumverhalten. Trotz des steigenden verfügbaren Einkommens der Deutschen, das das Niveau der Inflation teilweise ausgleicht, sind die Bürger:innen vorsichtig. 

"Wir haben eigentlich steigende verfügbare Einkommen und eine sinkende Inflationsrate, was dafür sprechen würde, dass die Kaufkraft da ist. Das Problem ist nur, dass die Menschen das Geld sparen, weil sie sich Sorgen machen", sagte Fuest der "Welt" am Freitag (26. Juli). 

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Mit der Kombination aus zurückhaltendem Konsum und mangelnder Investitionsbereitschaft geht ein Rückgang der Aufträge für viele Unternehmen einher. Diverse Firmen würden angeben, dass sie teilweise sogar Aufträge aus der Corona-Krise, bedingt durch den damaligen Rückstau, jetzt abarbeiten, wie Fuest erklärte. Das Problem: "Es kommt einfach nichts hinterher, und insofern ist das für Konjunktur einfach schlecht", fasste der Wirtschaftsexperte zusammen.

"Wir befinden uns in einer Stagnation, aus der wir wirklich nicht herauskommen und das sind ja zyklische Faktoren, also kurzfristige und langfristige Faktoren, die sich überlagern", so der Ifo-Präsident. Doch für den Experten steht fest, dass die Investitionsbereitschaft deutlich wichtiger für eine Erholung der Konjunktur der Bundesrepublik sei, als das Anziehen der privaten Konsumausgaben.

Im Video: Wirtschaftsinstitute stellen Frühjahrsprognose vor

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Hoffnung EZB-Leitzins-Senkung? Für Fuest nur ein Tropf auf dem heißen Stein

Seit 2022 bewegte sich der Leitzins der EZB im stetigen Aufwärtstrend. Um die Inflation abzufedern, erreichte der Zinssatz jüngst seinen Höhepunkt der letzten 20 Jahre im September 2023 mit 4,5 Prozent, wie Daten von Statista zeigen. Die Zinsentwicklung, mit dem Ziel der Deflation, ist laut Fuest zwar ein "stabilisierender Faktor", doch reicht die Senkung des Leitzinses zum Jahr 2024 um 0,25 Prozent nicht aus, um die Investitionsbereitschaft merklich anzukurbeln. Auch die erwartete Zinssenkung um erneute 0,25 Prozent werde keinen wirklichen Schub in die deutsche Wirtschaft bringen.

Das Problem seien die "langfristigen Faktoren", so die Einschätzung des Ifo-Präsidenten. Dazu gehört die getrübte Lage in der Eurozone. Hinzu komme, dass die wirtschaftliche und politische Bedeutung der EU nachlasse. Besonders im Vergleich zu einem erstarkenden Wirtschaftsmarkt in den USA und in Asien. "Die EU hat sich in den letzten fünf Jahren selbst mit bürokratischen Regeln und unsinnigen Vorgaben überzogen und bremst die Investitionen und das Wachstum. Also die EU trägt selbst dazu bei, auch durch ihre Uneinigkeit“, beklagte Fuest.

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Europäisches Wirtschaftswachstum Hand in Hand mit Ausgang US-Wahl?

Einen potenziellen Lösungsansatz sieht Experte Fuest in der Stärkung des europäischen Binnenmarktes. Dies sei im Hinblick auf den Ausgang der im November bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den USA umso wichtiger.  Fuest prognostizierte, dass bei einer möglichen Wiederwahl Donald Trumps der wirtschaftliche Protektionismus weiter zunehmen wird. Positiver sieht die Zukunft der EU im Falle eines Sieges der potenziellen demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris aus. Seiner Einschätzung nach wird Harris im Amt die Wirtschaftspolitik mit Europa im Sinne ihres Vorgängers, US-Präsident Joe Biden, fortführen.

Ex-US-Präsident Trump hat im Fall einer Wiederwahl angekündigt, seine 2018 eingeführten Einfuhrzölle in Höhe von zehn Prozent auf Stahl- und Aluminiumprodukte wiederzubeleben. Unter Biden waren diese Importzölle ausgesetzt worden.

"Nicht genug": Bundesregierung versucht gegen Rezession zu steuern

Für dieses Jahr wird nur ein Mini-Wachstum in Deutschland erwartet. Die Bundesregierung will mit einer "Wachstumsinitiative" gegensteuern. Geplant sind zum Beispiel Verbesserungen bei Abschreibungen von Investitionen und bei der Forschungszulage.

Außerdem will die Ampel Bürokratie abbauen und energieintensive Firmen bei den Strompreisen entlasten. Arbeitnehmer:innen sollen Anreize bekommen, mehr und länger zu arbeiten. Geplant sind insgesamt 49 Maßnahmen, dazu soll es bis Ende des Jahres verschiedene Gesetzesänderungen geben. Das Wachstumspaket könnte nach Einschätzung der Regierung im nächsten Jahr zu einem zusätzlichen Wachstum von mehr als einem halben Prozent führen.

Im Video: Überstunden steuerfrei - Kabinett beschließt Wachstumspaket

Stimmen aus der Wirtschaft begrüßen die Initiative der Regierung zwar,  bezweifeln jedoch, dass dieser Schub ausreicht, um die deutsche Konjunktur wieder in Gang zu bringen.

"Erfreulich ist, dass die Bundesregierung offensichtlich einvernehmlich dringenden Handlungsbedarf erkennt und nicht mehr erwartet, dass sich Wachstum von selbst einstellt", sagte beispielsweise Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm.  "Die Wachstumsinitiative adressiert eine ganze Reihe von Punkten, die wir seit Langem fordern. Das ist das Positive. Offen bleibt, wann aus dieser Wachstumsinitiative am Ende ein Gesetz wird. Die Erfahrungen mit dem Wachstumschancengesetz, das nach sechs Monaten Befassung auf allen Ebenen ein Gesetzchen geworden ist, lassen uns bei Ankündigungen zunächst noch vorsichtig sein."

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte: "Viele Ideen der Bundesregierung gehen in die richtige Richtung, aber im Ergebnis ist das alles viel zu wenig. Es sind Reförmchen. Dafür aber ist die Lage zu ernst.

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  • Verwendete Quellen:
  • Ifo-Institut: "ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2024: Deutsche Wirtschaft wie gelähmt"
  • "Welt": "Stimmung in der deutschen Wirtschaft verschlechtert sich überraschend"
  • Statista: "Entwicklung des Zinssatzes der Europäischen Zentralbank für das Hauptrefinanzierungsgeschäft von 1999 bis 2024"
  • BMWK: "Wachstumsinitiative der Bundesregierung"
  • Nachrichtenagentur dpa
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