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Nach Klatsche bei Europawahl

Forderungen nach Neuwahlen in Deutschland: Wie realistisch ist das?

  • Veröffentlicht: 11.06.2024
  • 16:02 Uhr
  • Lena Glöckner

Nach dem desaströsen Abschneiden der Ampel-Parteien bei der Europawahl werden die Rufe nach vorgezogenen Neuwahlen immer lauter. Doch wie wahrscheinlich ist das in Deutschland - und was ist der Unterschied zu Frankreich?

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Die Ampel-Parteien haben bei der Europawahl am Sonntag (9. Juni) mehr als einen Denkzettel verpasst bekommen - sie kamen zusammen nur auf ein knappes Drittel aller Wählerstimmen.  Viele Unionspolitiker forderten deshalb Neuwahlen für Deutschland. So auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu aufforderte, die Vertrauensfrage zu stellen.

"Gewinnt er die Vertrauensfrage, muss die Ampel einen Neuanfang hinlegen. Verliert er sie, dann muss es Neuwahlen geben", erklärte Linnemann. Er betonte, dass das Land nicht weitere eineinhalb Jahre bis zur nächsten regulären Bundestagswahl in der aktuellen politischen Situation verharren könne. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte dies bereits verlangt. Die Konsequenz aus der EU-Wahl müssten "Neuwahlen, Vertrauensfrage und am Ende Rücktritt" sein, sagte er.

Das sind die Voraussetzungen für Neuwahlen

Vorgezogene Neuwahlen sind in Deutschland nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Der Bundespräsident kann den Bundestag nur dann auflösen, wenn der Bundeskanzler das Vertrauen der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten verliert - also auch das seiner eigenen Regierungsparteien.

Dies kann er durch die sogenannte Vertrauensfrage abfragen. Wenn die Mehrheit der Abgeordneten dem Kanzler das Vertrauen nicht ausspricht und innerhalb von 21 Tagen keine neue Regierungsmehrheit gefunden wird, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen müssen dann Neuwahlen stattfinden.

Das deutsche Grundgesetz sieht keine einfache Möglichkeit für den Bundestag selbst vor, Neuwahlen zu beschließen. Der Prozess ist streng geregelt, um politische Stabilität zu gewährleisten und willkürliche oder häufige Neuwahlen zu verhindern. Dieses System soll sicherstellen, dass Regierungen ausreichend Zeit haben, ihre politischen Programme umzusetzen, und nicht ständig durch Wahlkämpfe gestört werden.

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Schröder stellte 2005 die Vertrauensfrage

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kam es bisher dreimal zu vorgezogenen Neuwahlen nach einer gescheiterten Vertrauensfrage: 1972 unter Willy Brandt, 1982 unter Helmut Kohl und 2005 unter Gerhard Schröder. In allen Fällen nutzten die Kanzler die Vertrauensfrage strategisch, um Neuwahlen herbeizuführen. Sie gingen bewusst das Risiko ein, die Vertrauensfrage zu verlieren, um sich in einer neuen Wahl ein stärkeres Mandat zu sichern oder politische Blockaden zu überwinden.

Die aktuelle politische Situation erinnert an diese historischen Präzedenzfälle. Das schlechte Abschneiden der SPD bei der Europawahl hat die Position von Olaf Scholz geschwächt und den Druck auf die Ampel-Koalition erhöht. Innerhalb der Koalition gibt es unterschiedliche Meinungen über den richtigen Kurs, und die Opposition nutzt die Gelegenheit, um ihre Forderungen nach einem Regierungswechsel zu verstärken.

Warum Neuwahlen in Frankreich anders sind

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nach der krachenden Niederlage seines Mitte-Lagers bei der Europawahl Neuwahlen angekündigt. Allerdings handelt es sich in Frankreich - anders, als es in Deutschland wäre - um Parlamentswahlen. Es geht also nicht um Macrons Kopf, sondern um die Auflösung der Nationalversammlung. Diese soll am 30. Juni und 7. Juli noch vor Start der Olympischen Spiele in Paris neu gewählt werden.

Im Video: Frankreichs Präsident Macron kündigt Neuwahlen an

Rechtsruck in Europa: Frankreichs Präsident Macron kündigt Neuwahlen an

Frankreichs Regierungslager war bereits vor der Europawahl geschwächt, denn seit knapp zwei Jahren besitzt es in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr. Das Regieren gestaltete sich seitdem mühselig. Anders als in Deutschland herrscht in der Parlamentskammer eher eine Kampf- und Konfrontationskultur vor.

Wie es aus dem Umfeld des Präsidenten hieß, sind die Franzosen das parlamentarische Durcheinander ohne eine klare, absolute Mehrheit leid gewesen. Mit den Neuwahlen setze Macron auf eine Bestätigung seiner Mehrheit und die Rückkehr zu einem parlamentarischen und demokratischen Leben, das den Erwartungen der Franzosen entspreche - möglicherweise auch mit neuen Partnern, auch wenn unklar ist, wen Macron noch zu seinem Bündnis dazugewinnen könnte. 

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Das sagt die Bundesregierung

In Deutschland ist die Bundesregierung den Spekulationen und Aufforderungen zur Neuwahl längst entgegengetreten. "Der Wahltermin ist im Herbst nächsten Jahres regulär und das planen wir auch so umzusetzen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Es habe sich "zu keinem Zeitpunkt, keine Sekunde die Idee Bahn gebrochen, dass man in Deutschland Neuwahlen jetzt anfangen könne."

Sollte Bundeskanzler Scholz die Vertrauensfrage dennoch stellen und verlieren, wären die Folgen für die Bundesrepublik tiefgreifend. Die CDU bereitet sich laut Linnemann bereits auf eine mögliche Regierungsübernahme vor, sollte die Bevölkerung dies wünschen. Linnemann selbst äußerte aber schon Zweifel, dass es so weit kommen wird: "Stand heute glaube ich nicht, dass es Neuwahlen gibt."

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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