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Vor 68 Jahren begann die AKW-Ära

Vom Heilsbringer zum Hassobjekt: So begann und endete der Hype um Atomkraftwerke

  • Aktualisiert: 17.10.2024
  • 17:15 Uhr
  • Emre Bölükbasi
Die Inbetriebnahme des ersten AKWs des Westens erfolgt 1956 durch Queen Elizabeth II. im englischen Cumbria. (Archivbild)
Die Inbetriebnahme des ersten AKWs des Westens erfolgt 1956 durch Queen Elizabeth II. im englischen Cumbria. (Archivbild)© imago/United Archives International

Vor genau 68 Jahren begann eine neue Ära: Mit der Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks im Westen begann ein Hype, der nach wenigen Jahrzehnten wieder erlosch. Ein Rückblick auf die ambivalente Geschichte der Kernkraft in Europa.

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Inhalt

  • Deutschland entdeckt die Kernkraft
  • Erste deutsche Kernkraftwerke gehen ans Netz
  • Anti-AKW-Bewegung rollt an
  • Ende der AKWs besiegelt

Queen Elizabeth II. war gerade mal 30 Jahre alt, als sie an einem kalten Tag in Nordwestengland eine neue Ära einläutete. Vor genau 68 Jahren brach sie am 17. Oktober 1956 trotz widriger Wetterverhältnisse nach Nordwestengland auf, um vor zahlreichen Gäst:innen aus aller Welt ein neues Projekt einzuweihen: Das Atomkraftwerk Calder Hall, das erste kommerzielle Kernkraftwerk des Westens und nach dem sowjetischen Kernkraftwerk Obninsk, das im Juni 1956 ans Netz ging, das zweitälteste AKW der Welt.

"Mit Stolz eröffnen wir Calder Hall, Englands erstes Atomkraftwerk, das uns alle benötigte Elektrizität liefert, ohne Kohle oder Öl dafür nutzen zu müssen", sagte die Königin und inspizierte mit großem Interesse das AKW, das zum Vorreiter der zivilen Nutzung von Kernkraft im Westen wurde. Was folgte, war ein regelrechter Hype um Kernkraft, der aber in wenigen Jahrzehnten wieder erlosch. Ein Blick auf die ambivalente Geschichte der Atomkraft.

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Deutschland entdeckt die Kernkraft

Unter den zahlreichen Gäst:innen, die die Inbetriebnahme des AKWs Calder Hall miterlebten, war auch ein bekannter Spitzenpolitiker aus Deutschland: der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU). Kurz zuvor hatte seine Amtszeit als Minister für Atomfragen geendet, doch als euphorischer Unterstützer der Atomkraft behielt er seine Ministerurkunde als Atomminister noch, um das Event in England ja nicht zu verpassen - ein Indiz dafür, wie groß der AKW-Hype in Deutschland werden sollte.

Die Atom-Euphorie in England nahm aber nicht nur die konservative Union nach Deutschland mit, sondern auch die SPD. Im Godesberger Programm der Sozialdemokrat:innen aus dem Jahr 1959 heißt es, "dass der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann, wenn er seine (…) Macht über die Naturkräfte nur für friedliche Zwecke einsetzt".

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Erste deutsche Kernkraftwerke gehen ans Netz

Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) unterstützte damals den Einsatz von Kernenergie und sicherte der Industrie finanzielle Förderungen zu - und der Ausbau des AKW-Netzes in Deutschland begann. Neben der zivilen Nutzung der Kernkraft machte sich der Kanzler zudem auch für die atomare Aufrüstung der Bundeswehr stark.

Auf den politischen Willen der 1950er-Jahre, Kernkraft für zivile Zwecke einzusetzen, folgten auch konkrete Taten: Das AKW in Kahl am Main ging 1961 als erstes Kernkraftwerk Deutschlands ans Netz. 1966 folgte das erste kommerzielle Atomkraftwerk der DDR in Rheinsberg, Brandenburg.

Im Video: Was genau passiert bei der Abschaltung eines Kernkraftwerks?

Anti-AKW-Bewegung rollt an

Eine öffentliche Debatte über die Vor- und Nachteile von AKWs blieb in Deutschland in den 1950ern und 1960ern größtenteils aus. Die zivile Nutzung der Kernkraft galt als ein wichtiger Schritt in der Energiepolitik und war nicht nur in politischen, sondern auch in akademischen Kreisen eine willkommene Entwicklung.

Wie konnte aber nach dieser anfänglichen, breiten Zustimmung zur Atomenergie gerade in Deutschland eine der stärksten Anti-Atomkraft-Bewegungen Europas entstehen? Zwei Protestwellen gegen den Bau von Kernkraftwerken zeigen den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung.

1975 entfachte der geplante Bau eines AKWs in Wyhl am Kaiserstuhl zahlreiche Demos. Fast 100.000 Unterschriften wurden gegen den Bau gesammelt. Die Protestierenden waren so hartnäckig, dass das AKW schließlich nicht ans Netz gehen konnte - die inzwischen über die Nachteile von Atomkraft aufgeklärte Bevölkerung tat ihren Unmut aktiv kund.

Etwa 100.000 Protestierende gingen am 28. Februar 1981 in Brokdorf auf die Straßen, um gegen das AKW zu demonstrieren.
Etwa 100.000 Protestierende gingen am 28. Februar 1981 in Brokdorf auf die Straßen, um gegen das AKW zu demonstrieren.© imago/Klaus Rose

1976 folgte in Brokdorf die zweite Protestwelle gegen Kernkraft in Deutschland. Die zuvor noch friedlichen Demonstrationen arteten in Brokdorf allerdings aus - es kam zu gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und den massiv aufgestockten Polizeikräften. Der Bau des AKW konnte zwar nicht verhindert werden, aber der Widerstand in Brokdorf wurde zu einem Vorbild in der deutschen Anti-Kernkraft-Bewegung.

Ein riesiges Unglück in den 1980er-Jahren warf ein extrem schlechtes Licht auf die Atomenergie: die Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Vom anfänglichen AKW-Hype blieb nichts mehr übrig - der vermeintliche Heilsbringer wurde zum Hassobjekt vieler Menschen.

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Ende der AKWs besiegelt

Der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung wirkte sich auch auf die politischen Standpunkte der Parteien aus. Stichwort: "Atomkonsens". Die rot-grüne Koalition Gerhard Schröders (SPD), die 1998 ihre Arbeit aufnahm, beschloss 2001 den "Atomkonsens". Dieser hielt den Willen der Bundesregierung fest, der kommerziellen Nutzung von Atomenergie ein Ende zu setzen - ein Schritt, der den Weg zum Ausstieg aus der Atomenergie ebnen sollte. Das damalige Atomförderungsgesetz wurde durch ein neues Atomausstiegsgesetz ersetzt.

Die Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 entfachte die Debatte rund um die Abschaltung der deutschen AKWs ein weiteres Mal. Die damalige Bundesregierung beschloss den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Die letzten Kernkraftwerke Deutschlands gingen schließlich 2023 vom Netz. Nach einer ambivalenten Geschichte war das Ende der zivilen Nutzung von Atomenergie in Deutschland endlich besiegelt.

Im Video: Scholz erklärt AKW-Debatte für beendet

  • Verwendete Quellen:
  • Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung: Anfang und Ende der Atomkraft
  • NDR: Atomkraft: Abstieg und Ende einer als "sauber" gefeierten Energie
  • SWR: Bundeskanzler Adenauer will Atomwaffen - Bundestag debattiert tagelang
  • WDR: 17. Oktober 1956 - Weltweit erstes kommerzielles AKW in England geht ans Netz
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